Wie jede Nacht wandere ich durch die nächtlichen Straßen, streife umher, beobachte, amüsiere mich, lese Gedanken, tauche ein in die menschlichen Abgründe, nehme still an ihnen teil, ohne dass es jemand bemerkt. Manchmal streift mich ein Blick. Kurzes Erkennen flackert in den Augen auf und dann schaltet sich aber der Verstand ein, dass es mich nicht geben darf und die Augen wenden sich wieder ab. Nebel streifen durch die Stadt, wie so oft im nächtlichen London.
In den Kneipen herrscht um diese Uhrzeit meist ein lautes Treiben. Manchmal mische ich mich unter dieses Volk aus Betrunkenen und Huren. Am liebsten sind mir dir Adeligen, die hier ihrer steifen Welt entfliehen. Und ich werde in Ruhe gelassen, strahle eine seltsame Aura aus, die mich wie ein Schutzschild einhüllt. Nur hin und wieder spüre ich einen wissenden Blick auf mir. Ich bin immer wieder verwundert, wer dieses Wissen in sich trägt. Manchmal ist es ein Bettler, der am Wegesrand sitzt und auf ein paar Münzen hofft. Ein andermal ist es wieder ein Kind, das um diese Zeit herrenlos durch die gefährlichen Straßen Londons streunt. Oder eine Wirtstochter, die zwischen all den Betrunkenen ausschenken muss. Und ich lächle dann zurück, die Angst nehmend, die sich oft in diesen Gesichtern ausbreitet.
Hin und wieder spüre ich auch einen verwunderten und bewundernden Blick auf mir. Ich lege noch immer Wert auf mein Äußeres, passe mich den jeweiligen Zeiten an. Jetzt trage ich ein dunkelblaues Seidenkleid, meine Taille eng geschnürt. Und ich sehe nicht so aus, als wenn ich um diese Zeit hierher gehöre. Wenn ich dann einen solchen Blick auf mir spüre, dann spiele ich meist damit, kokettiere. Wie herrlich ist es, das unschuldige Mädchen zu spielen, das Hilfe benötigt! Und wenn mir dann diese Hilfe gewährt wird und ich doch in den Gedanken lesen kann, welche Hilfe mir wirklich zu Teil werden soll. Manchmal suche ich mir unter diesen hilfsbereiten Geschöpfen mein Opfer.
Auch diesmal bin ich unterwegs und suche mein Opfer für diese Nacht. Ich gehe dabei immer sorgfältig vor, wenn auch ohne Plan. Wenn ich mein Opfer sehe, es höre, rieche, dann weiß ich, dass es das meine ist. Und erst dann ersinne ich einen Plan, wie ich weiter vorgehe. Und dann muss sich dieses Opfer bewähren, denn danach entscheidet sich das weitere Schicksal.
Und so streifte ich umher, lauschend und suchend. Und mit einem Male hatte ich das Opfer der heutigen Nacht gefunden. Oh ja, er gefällt mir! So hübsch ist er und so beliebt! Inmitten seiner Freundesschar unterhält er in einer Schenke die ganze Gesellschaft. Und doch ist er so grausam, spielt mit der ihm umgebenden Meute! Er würde mein heutiges Opfer werden! Ich war schon gespannt, wie er sich verhalten würde. Ich ging in die Schenke, setze mich an einen leeren Tisch mit guten Blick auf ihn. Ich bestellte ein Glas Wein, von dem ich eh nichts trinken würde.
Dann ließ ich einen großen Teil meiner Aura fallen und begann, ihn zu beobachten. Ganz direkt blickte ich ihn unverwandt an mit einem spöttischem Lächeln auf meinem Gesicht. Nicht lange dauerte es, bis er sich meiner bewusst wurde. Immer wieder stockte er in seinen Scherzen, sein Blick suchte immer wieder den meinen. Das, was ich da mit ihm machte, war er nicht gewöhnt. Normalerweise war er es immer, der sich mit Blicken die Frauen sicherte.
Seine Scherze und Antworten wurden immer automatischer. Schon längst hatte er die Gesprächsführung an andere abgegeben. Bis er fast völlig verstummte, in meinem Blick gefangen war.
Er war so weit. Ich stand auf, verließ die Schenke und bedeutete ihm mit einer kleinen, kaum merklichen Geste, mir zu folgen. Ich wusste, er würde es tun. Und kaum stand ich wieder auf der Straße, so kam auch er aus der Schenke hinaus. Ich spielte weiter mit ihm, setzte nun wieder einen ganz anderen Blick auf, einen Blick, der ihm wieder mutiger werden ließ. Sollte er ruhig glauben, er habe die Situation in der Hand!
Und es folgte einer dieser öden Dialoge. Schon war ich enttäuscht, dass er nichts besseres auf Lager hatte. Das wollte ich mir nicht länger anhören und ich gab ihm eindeutige Signale meiner Bereitwilligkeit, die doch so gar nicht zu meinem Äußeren passen wollten. Amüsiert nahm ich seine Verwirrung in mir auf, als ich meine Lippen langsam ableckte, ihn wie zufällig berührte, ihm immer näher kam. Merklich konnte man seine wachsende Erregung spüren.
Ich ging wieder von ihm fort, schritt in eine dunkle Nebengasse. Dies sollte mein heutiger Schauplatz werden. Erstaunt folgte er mir, so voller Erwartungen. Nun endlich hatte er begriffen, was ich ihm glauben lassen wollte, von mir zu bekommen. Wieder wurde er frech, umfing mich, küsste meinen einladenden Ausschnitt, der meine Brüste so voll zur Geltung brachte.
Auch ich genoss diese Berührungen, schloss meine Augen, fühlte. Und dann tastete er sich mit seinem Mund weiter nach oben, bis zu meinem Hals. Oh ja, wie ich diese Stelle liebte! Wenn auch auf eine ganz andere Art und Weise, aber das sollte er bald zu spüren bekommen. Denn jetzt wagte er sich noch weiter hinauf, gleichzeitig begannen seine Hände, meinen Busen zu massieren. Ich genoss diesen letzten Augenblick der Hingabe und freute mich doch auch über das, was gleich folgen würde.
In dem Moment, in dem er mir einen Kuss auf meine Lippen geben wollte, fasste ich seine Hände, zog sie nach hinten, so dass er sich nach hinten krümmen musste, um diesen Griff ertragen zu können. Wie ich diesen erstaunten Blick doch liebte, wenn sie meine Kraft zu spüren bekamen! Denn aus diesem Griff war ein Entkommen unmöglich! Mit weit geöffneten Augen sah er mich an, verwirrt, versuchend, zu begreifen, was da gespielt wurde. Und ich gab ihm die Erklärung, nahm seinen linken Arm und vergrub darin meine Zähne, schmeckte von seinem köstlichen Blut.
Entsetzen machte sich auf seinem Gesicht breit, als er langsam begriff, was ich war! All diese Selbstsicherheit, die er noch in der Schenke um sich verbreitet hatte, war mit einem Mal fort. Statt dessen begann er nun zu winseln.
Wie ich das hasste! Nein, so kam man bei mir nicht weiter! Aber das, was ich suchte, kam auch selten genug vor. Wenn mir jemand Mut und Kampfgeist entgegen brachte, dann ließ ich ihn manchmal leben, wenn er mir gefiel. Dann durfte er mit mir mitkommen, wurde in meine Gemächer eingelassen, in denen er mir fortan dienen durfte. Und die meisten dienten mir schon nach kurzer Zeit gerne, schenkte ich ihnen doch auch ungeahnte Höhen der Lust, wenn ich mich ihrer bediente, von ihrem Saft trank, nie genug, um ihnen ernsthaft zu schaden, doch immer so viel, dass sie fast darum bettelten, mir wieder etwas schenken zu dürfen. Denn in dem Augenblick, in dem ich trank, konnte ich die Geister verschmelzen lassen, ihnen ein wenig von meinen dunklen Leidenschaften schenken.
Aber dieses jammernde, winselnde Etwas, was ich nun vor mir hatte, verdiente es nicht, dieses Geschenk von mir zu erhalten. Jedenfalls nicht mehrmals. Er würde es einmal von mir erhalten und dann nie wieder. Unnachgiebig zog ich ihn nun zu mir heran. Er spürte, was ich vorhatte, geriet in Panik. Aber das hielt mich nicht ab. Ich fixierte mit meinem Blick die pulsierende Halsschlagader. Und schließlich versenkte ich meine Zähne in ihr. Wie immer, wurde mein Opfer ab diesem Moment schlagartig ruhig. Denn nun erlebte es diese einmaligen Gefühle. Und ich saugte und trank. Bis ich spürte, dass der Tod nicht mehr fern war. Ich ließ von ihm ab, sah zu, wie der letzte Lebenshauch mein Opfer verließ, welches ein seliges Lächeln auf den Lippen hatte.
In diesem Augenblick liebte ich meine Opfer, und wenn sie mich zuvor noch so sehr enttäuscht hatten. Ich spüre, wie sich ihr Leben in Form ihres Blutes in mir ausbreitet, ein Teil von mir wird.
Zufrieden lächelnd kehrte ich wieder in die Wirklichkeit zurück. Ich ließ ihn einfach liegen. in dieser Zeit kümmerte sich eh niemand um einen Toten, der in den nächtlichen Straßen umgekommen war. Eine sehr praktische Zeit für Kreaturen, wie wir es sind.
Ich wand mich ab und wolltel die dunkle Gasse wieder verlassen. Als ich plötzlich erstaunt bemerkte, dass ich beobachtet wurde. Am Eingang der Gasse lehnte lässig ein Mann. Und er lächelte mich an, spöttisch, so wie ich es eigentlich gerne tue. Und das merkwürdigste an ihm war, dass ich nichts von ihm empfing!
Und da wurde es mir klar: Er war genau so eine Kreatur wie ich! Und da ich ihn nicht mal gespürt hatte, musste er eine sehr mächtige Kreatur sein! Wie lange war es schon her, dass ich einen der unsrigen getroffen hatte! Und die waren dann meist nur niedrige Geschöpfe. Noch nie hatte ich einen gesehen, der meiner ebenbürtig oder gar überlegen war. Lediglich mein Schöpfer hatte diese Qualitäten besessen.
Einen Moment lang zögerte ich. Aber dann trat ich auf ihn zu, seinen Blick erwidernd. Er verzog keine Miene, blickte mich noch immer mit diesem spöttischen Lächeln an. Ich war ziemlich verwirrt, da ich nicht in seine Gedanken dringen konnte. Es war, als fehlte mir ein Sinn. Und doch war ich mir ziemlich sicher, dass er die meinen sehr wohl lesen konnte.
Ich fühlte mich von ihm gleichermaßen angezogen und erschreckt. Ich stand nun direkt vor ihm. Und da nahm er mich einfach, packte mich, trug mich. Und ich konnte nichts gegen ihn ausrichten, wandte all meine Kraft auf, die aber wirkungslos an ihm verpuffte. Nach einer Weile gab ich meinen Widerstand auf, der ja auch so sinnlos war. Er trug mich auf die Straße, in der nicht weit entfernt eine Kutsche stand. Als wir eingestiegen waren, preschte diese los.
Während der ganzen Fahrt hielt er mich umfangen. Und ich spürte, wie ich langsam dieses Gefühl genoss, das mir so völlig fremd war, denn bisher hatte ich noch niemanden gefunden, der mir überlegen gewesen wäre. Bis zu diesem Zeitpunkt war mich auch nicht klar gewesen, dass ich mich danach gesehnt hatte! Und doch wollte ich mir dies noch nicht eingestehen, kämpfte noch mit mir.
Die Kutschfahrt hatte sein Ende genommen. Wieder nahm er mich auf seine Arme und trug mich in seine Gemächer. Erstaunt sah ich mich um, hatte doch alles, was ich sah, so viel Ähnlichkeit mit dem, womit ich mich umgab. Hunderte Erinnerungen aus den vergangenen Jahrhunderten waren in einem geschmackvollen Ambiente angesammelt.
Uns eilten, sobald wir eintraten, auch sogleich helfende Hände entgegen, weibliche und männliche, von denen ich sofort sah, dass er genauso mit ihnen verfuhr, wie ich mit den meinen. Einen Augenblick lang war ich derart erstaunt, dass ich gar nicht mehr darüber nachdachte, welche Rolle ich denn nun spielen sollte.
Dies wurde mir erst wieder bewusst, als ich in den Keller getragen wurde, der sich als ein stattliches Verlies entpuppte. Nun wurde meine Kampfkraft wieder wach, denn ich ahnte, was mir blühen würde. Wie wild schlug und schrie ich um mich. Aber ich hatte keine Chance. Völlig unbeeindruckt fixierte er mich mit dem Gesicht zu Wand an schweren Eisenketten. Und die mussten auch schwer sein, wollten sie meiner Kraft widerstehen! Wie wild zog ich an ihnen, bäumte mich auf. Aber da war nichts zu machen, sie hielten. Er musste genau gewusst haben, wie stark sie sein müssen, um mich darin zu halten.
Und dann war da dieser Schmerz! Noch nie hatte ich das gespürt! Mit kräftigen Schlägen bekam ich nun eine lange Peitsche zu spüren! In diesem Moment verfluchte ich das Wesen meines Seins, denn ich wäre gerne in diesem Schmerz versunken und hätte mich in eine sanfte Ohnmacht fallen lassen, wie es die Menschen in solchen Situationen manchmal konnten. Aber ich musste es voll miterleben. Und er schlug mich hart, so dass schon bald meine Haut aufsprang und mein vampirisches Blut zum Vorschein kam. Von der Ferse bis zum Nacken behandelte er mich auf diese Weise, so dass ein menschliches Opfer dies wohl schon längst nicht mehr ausgehalten hätte. Und als er endlich fertig war, ich nur noch auf einer Wolke des Schmerzes schwebte, die ich noch nie zuvor erlebt hatte, da kam er mir näher. Bei seiner ersten Berührung zuckte ich zusammen. Und dann begann er meine Wunden zu lecken, mein Blut in sich aufzusaugen, dass ihn noch stärker machen konnte, als er ohnehin schon war. Er leckte mich ebenso von unten bis oben ab, wie er mich zuvor mit der Peitsche behandelt hatte.
Und ich befand mich in einem Chaos meiner Empfindungen. Ich hasste ihn! Und doch fühlte ich mich von seiner Macht so stark angezogen! Er hatte mir so viele Schmerzen gegeben und nun verwöhnte er mich mit seiner Zunge und stahl mir dabei doch auch etwas von meinem kostbaren Blut.
Als er fertig war, entfernte er sich von mir, ließ mich alleine zurück. Ich hing in meinen Ketten, verwirrt, verletzt, erregt, verzweifelt. Und so ließ er mich die ganze restliche Nacht, bis ich bei eintretender Dämmerung in den tiefen Vampirschlaf fiel, sicher von dem dunklen Verlies umhüllt.
In der nächsten Nächten wiederholte sich das Spiel wieder von vorne. Die Wunden, die jedes mal wieder über Nacht geheilt waren, wurden mir immer wieder erneut zugefügt und jede Nacht leckte er mir wieder die Wunden sauber.
Ich fühlte, wie ich schwächer wurde, denn ich bekam in all diesen Nächten auch keinen Tropfen Blut zu trinken. Und in dem gleichen Maße, in dem auch mein Körper schwach wurde, begann sich auch mein Geist zu beugen. Ich merkte, wie ich meinen Geist dem seinen unterordnete. Noch verwirrender war für mich die Erkenntnis, dass ich sein Kommen geradezu herbeisehnte, sobald ich bei Sonnenuntergang erwachte, obwohl mir jedes mal erneut diese unsäglichen Schmerzen hinzugefügt wurden.
Und als er mir dann wieder eines Tages meine Wunden sauber geleckt hatte, ich spürte, wie kaum noch ein Tropfen Blut in mir war, ich am liebsten sterben wollte und doch nicht konnte, da ich nun mal unsterblich war, da erlöste er mich von meinen Fesseln. Alle Kraft hatte ich eingebüßt und ich konnte mich nicht mehr aus eigener Kraft auf den Beinen halten. Sicher wurde ich von ihm aufgefangen und er bedeckte mich am ganzen Körper mit sanften Küssen. Trotz meines Zustandes erwachte in mir die Leidenschaft und ich küsste ebenso jede Stelle seines Körpers, die ich erreichen konnte.
Eines führte zum anderem. Voller Leidenschaft begannen wir uns zu lieben. Und in dem Moment, in dem wir den Gipfel der Lust erreichten, fand ich seinen Hals und vergrub meine Zähne in ihn. Und ich trank und trank, wusste in diesem Moment, wer er war, erfuhr seine Geschichte und fühlte seine Liebe! Seine Liebe für mich, die er schon lange beobachtet hatte, ohne dass ich es gemerkt hatte. Er hatte mich unter vielen ausgewählt und zu seiner Gefährtin auserkoren. Und während ich trank, spürte ich auch, wie meine Kräfte wieder in mich zurück flossen und mehr noch, sich sogar noch vergrößerten.
Bis er mich mit einem Ruck weg stieß. Mein Taumel endete abrupt, aber ich wurde sogleich wieder von seinen Augen gefangen. Und da wurde es mir mit einem Schlag klar! Auch ich liebte ihn!
Da vernahm ich zum ersten mal seine Stimme: “Für immer die meine?” Es gab nur eine Antwort: “Für immer die deine!”
© Devana Remold