An einem kalten Winterabend begibt sich Sofie auf den Weg. Sie befindet sich auf der Suche. Sie hat beschlossen, endlich zu finden. Was genau sie sucht, weiß sie nicht oder lässt dieses Wissen nicht an die Oberfläche dringen. Sie will es nicht verstehen, denn ihr ist bewusst, es würde sie erschrecken. Und doch begehrt sie, zu finden, anzukommen, sich nicht mehr zu verbergen.
So geht sie über diese nächtliche Straße. Sie hat ein Ziel, das sie sich kaum eingestehen möchte. Sie hat die Anzeige gelesen, die Adresse erscheint noch immer vor ihrem inneren Auge, lässt sich nicht leugnen.
Sofie ist in einer gefährlichen Stimmung. Selbstzerstörerisch.
Ihr Schutzengel schwebt besorgt über ihr.
Sie erreicht den Eingang. Eine Treppe führt sie in den Keller, dumpfe Musik schallt ihr entgegen, die Luft ist erstaunlich klar. Sie kann atmen. Das ist gut.
Ein kritischer Blick mustert sie von oben bis unten, als sie den Obolus in ihr Verderben bezahlen möchte. Ihre Kleidung sei nicht angemessen, wird bemängelt. Gibt es eine Alternative? Nackt. Dann sei es so.
Ihr Schutzengel wird rot im Gesicht. Nicht vor Scham, er sah sie schon oft hüllenlos.
Der kritische Blick wechselt zu Besorgnis. Nackt? Unbegleitet? Sofie nickt. Sie will es wissen, sie sehnt, sie begehrt, sie kann es anders nicht mehr aushalten.
Ihr Schutzengel schüttelt entsetzt den Kopf und blickt sich suchend um.
Ein gut gemeinter Rat begleitet sie unbeachtet in den nächsten Raum. Sie fühlt Blicke auf sich. Sie genießt, wächst an ihnen. Sie will mehr.
Ihr Schutzengel seufzt.
Ein dunkles Objekt nähert sich frontal, kommt auf sie zu und verkündet, dass an ihrem Hals ein Reif fehlt. Sofie nickt, sie ist sich dieses Mangels bewusst und möchte ihn heute Abend beseitigen.
Ihr Schutzengel sieht sich panisch um, erfasst ein anderes dunkles Objekt mit einem weiß leuchtenden Herzen. Er ist verwirrt, hat diese Kombination noch nie zuvor gesehen. Doch er handelt schnell, denn es ist die einzige Option. Er wendet all seine Energie auf. Er befiehlt dem Herz: „Pass auf sie auf!“ Erschöpft sackt er in sich zusammen. Es hat gewirkt. Der Beschützerinstinkt des reinen Herzens ist geweckt, nähert sich seiner Schutzbefohlenen.
„Das hast du gut gemacht“, haucht es hinter dem Schutzengel und eine sanfte Berührung streichelt seine Aura.
Verwirrt blickt er sich um und entdeckt ein leuchtendes Wesen seiner Art.
„Wer bist du?“ Er ist ganz verzaubert.
Ein glockenähnliches Lachen ertönt und hüllt ihn ein.
„Kennst du mich nicht? Ich bin ein Weihnachtsengel!“
„Euch gibt es wirklich? Ich habe noch nie einen gesehen.“
„Doch. Mich.“
„Was machst Du hier?“
Erneut ertönt dieses bezaubernde Lachen. „Na, was soll ich schon machen, mein kleiner Schutzengel? Ich erfülle Wünsche!“
„Ja, aber wessen Wünsche?“
„Deine. Du hast es Dir verdient.“
Sein Blick fällt auf Sofie. Sofort ist er alarmiert. Sie kniet vor dem Mann mit dem reinen Herz. Er hat seine Hand in ihren Nacken gelegt und drückt sie nach unten. Er will zu ihr eilen, ihn umstoßen, doch der Weihnachtsengel hält ihn fest.
„Shht, kleiner Engel. Sei unbesorgt.“
„Aber wie kann ich unbesorgt sein? Er wird ihr wehtun!“
„Ich weiß, es ist schwer für euch Schutzengel, das auszuhalten, aber sehe in ihr Gesicht, spüre, was sie fühlt. Du kannst das.“
Er versucht es und tatsächlich bemerkt er aufkeimendes Glück und das Ankommen ihrer Seele.
„Siehst du“, beschwichtigt ihn der Weihnachtsengel, „alles ist gut. Genau das will sie, genau das braucht sie und du hast sie davor bewahrt, sich ins Unglück zu stürzen. Jetzt schließe die Augen und entspanne dich. Du bist an der Reihe, verwöhnt zu werden.“