Nervös starrte sie auf die Parkbank, die nun schon seit geraumer Zeit von einigen Rentnern besetzt wurde. Sie genossen die schöne Aussicht auf den direkt vor ihnen liegenden See und unterhielten sich prächtig. Diese schöne Aussicht war auch ihr Grund gewesen, warum sie sich diese Bank ausgesucht hatte. Nur war es ihr seltsamerweise nicht eingefallen, dass sie besetzt sein könnte. Ganz gegen ihre Art war sie viel zu früh angekommen und wollte sich in aller Ruhe auf der Bank seelisch auf das bevorstehende Treffen einstellen. Doch daraus wurde nichts und nun lief sie schon eine ganze Weile um die besagte Rentnergruppe herum und beäugte jeden ankommenden Mann, ob er es vielleicht sein könnte. Irgendwann blieb schließlich ein Herr in der Nähe der Parkbank stehen und sah sich suchend um.
Sie fasste sich ein Herz und ging lächelnd auf ihn zu: „Sind Sie Andreas?“
Wie froh war sie, dass sie bei ihren letzten Treffen im Chat noch auf die Idee gekommen waren, ihre realen Vornamen auszutauschen, sonst hätte sie einen völlig fremden Mann fragen müssen, ob er vielleicht „BlackWulf“ sei und sie hätte sich mit „BlackCat“ vorgestellt. Zwar waren diese beiden schwarzen Tiere der Grund gewesen, dass sie sofort ins Gespräch gekommen waren, doch in der realen Welt waren reale Namen dann doch besser.
Der Mann erwiderte ihr Lächeln und antwortete: „Stefanie?“
„Ja! Hallo! Schön, dass es geklappt hat!“
Etwas steif umarmten sie sich und sie stellte erleichtert fest, dass er wohl ebenso nervös war wie sie selbst.
„Unsere Bank ist ja leider besetzt….“ Bedauernd blickte sie auf das besagte Objekt.
„Dann lass uns doch etwas spazieren gehen und uns eine andere suchen.“
„Wo lang?“
„Ich weiß nicht, ich war hier noch nie, entscheide du.“
Sie überlegte kurz und schlug dann den Weg ein, der in eine Ecke des Parks führte, wo nicht ganz so viel los war.
„Bist du oft hier?“ fragte er sie.
„Jetzt nicht mehr, als Kind war ich oft hier. Es hat sich aber einiges verändert. Die Bäume sind größer geworden, der Spielplatz hier ist neu und dieses Kunstwerk da vorne gab es wohl auch noch nicht.“
„Ja, wir werden wohl alle älter“ lachte er. „Aber es ist nett hier und es ist schön, das erste Grün nach dem Winter zu sehen.“
Dankbar ließ sie sich auf den Smalltalk ein und erfuhr, dass er noch nicht so lange in dieser Stadt wohnte. Möglichst unauffällig musterte sie ihn von der Seite, als er erzählte. Ihr spontanes Urteil lautete: sympathisch, aber nicht ihr Typ. Letzteres war aber auch nicht wichtig, sie wollte ja nichts von ihm.
Schließlich fiel ihr Blick auf eine etwas abseits stehende Bank unter einer noch kahlen Birke.
„Wollen wir uns dorthin setzen?“
„Ideal“, meinte er nur.
Sie setzten sich halb zueinander gewandt hin und sahen sich zum ersten Mal länger an.
„Hast du deinem Mann etwas gesagt?“
„Nein, du deiner Frau?“
„Nein, das würde die Sache nur verkomplizieren, auch wenn es schade ist.“
„Ja… geht mir genauso.“
Beide seufzten gleichzeitig.
Schon bald hatten sie im Chat festgestellt, dass sie nicht nur das „Black“ in ihren Namen gemeinsam hatten, sondern sich auch in einer sehr ähnlichen Situation befanden. Beiden war vor einiger Zeit klar geworden, dass in ihnen eine Leidenschaft wohnte, die über die normale Sexualität hinaus ging. Doch beide waren sie verheiratet. Wie sie in der Internetwelt bald heraus fanden, war dies für viele zwar ein Grund, aber kein Hindernis, doch beide wollten sich darauf nicht einlassen, denn sie liebten ihre jeweiligen Partner, auch wenn diese ihre Leidenschaft nicht teilten. Stefanie hatte ihrem Mann gegenüber zwar Andeutungen gemacht, die aber kein Gehör gefunden hatten. Andreas wagte es erst gar nicht, seine Frau zu fragen, da er befürchtete, damit eine ernsthafte Krise herauf zu beschwören.
Eine etwas unangenehme Stille drängte sich zwischen die beiden. Als Stefanie sie nicht länger ertragen konnte, versuchte sie, den Smalltalk fortzusetzen.
„Wo arbeitest du jetzt?“
„Ich…“ er stockte, holte einmal tief Luft und wandte sich dann plötzlich voll zu Stefanie hin und ergriff ihre Hände.
„Stefanie, wir sollten unser Privatleben jetzt nicht weiter ausbreiten. Wir wissen, in welcher Lage wir uns befinden und wir haben uns hier getroffen, um einmal offen mit einem wirklichen Menschen darüber sprechen zu können. Lass uns lieber von dem reden, was wir sonst noch nie ausgesprochen haben.“
Stefanie war dankbar, dass Andreas mit seinen klaren Worten das Eis gebrochen hatte.
„Aber es ist nicht leicht, darüber nun wirklich zu sprechen.“ meinte sie dann dennoch.
„Soll ich den Anfang machen?“ fragte er behutsam.
„Nein, eigentlich brenne ich ja darauf, mich jemanden anzuvertrauen.“
Er lächelte. „Na, dann mal los.“
Sanft löste sie ihre Hände aus den seinen und wandte ihren Blick auf einen unbestimmten Punkt vor ihr. Es würde ihr dann doch leichter fallen, über solch intime Sachen zu sprechen, wenn sie niemanden dabei in die Augen sehen musste. Noch dazu jemand, der ich beinahe unbekannt war. Eine Weile überlegte sie, wo sie anfangen sollte. Schließlich begann sie.
„Ich bin wohl das, was man ein braves Mädchen nennen würde. War ich schon immer. Meinen Eltern habe ich nie größere Probleme bereitet, ich bin immer zu allen höflich und zuvorkommend und hart bin ich höchstens in meinem Beruf, in dem ich gelernt habe, mich durchzusetzen. Oberflächlich betrachtet führe ich wohl ein tolles Leben. Und ich muss sagen, dass mein Leben auch wirklich nicht schlecht ist. Vor einigen Jahren habe ich einen wirklich tollen Mann geheiratet. Wir teilen so vieles, können über so vieles sprechen, haben ähnliche Interessen und unternehmen viel. Der Sex, den wir haben, ist wohl weder gut noch schlecht, nehme ich mal an. Ehrlich gesagt war er mir bis vor kurzem nicht einmal sonderlich wichtig. Es hätte mich nicht einmal wirklich gestört, wenn es keinen Sex gegeben hätte. Bis mich dann dieses Buch dazu gebracht hat, einmal über meine Sexualität wirklich nachzudenken. Eigentlich war es ein ganz normaler historischer Roman, die ich gerne zur Entspannung lese. Dieser war eher einer von der kitschigen Sorte mit viel Herzschmerz und dergleichen. Normalerweise lese ich so etwas dann doch nicht, aber der Roman war mir als Mängelexemplar in die Hände gefallen und ich habe erst zu Hause gemerkt, dass es sich dabei eher um so einen kitschigen Liebesroman vor historischem Hintergrund handelte. Aber gelesen habe ich ihn dann doch. Und seltsamerweise hat er dann meine Fantasie ganz schön beflügelt. Die Hauptakteurin wurde in dem Buch in einen Harem entführt.“
Sie lächelte Andreas kurz an, als wolle sie sich dafür entschuldigen, ihn mit Haremsgeschichten zu langweilen. Er lächelte aber nur zurück und bedeutete ihr mit einer Geste, fortzufahren.
„Jedenfalls wusste ich gar nicht, dass in solchen Büchern derart viel Sex vorkommt. Und einige Szenen darin haben mich wirklich erregt. Beinahe entsetzt stellte ich fest, dass es genau diejenigen waren, bei denen es etwas härter zur Sache ging, bei denen die Frau erst bezwungen werden musste. Und nachdem ich das Buch zu Ende gelesen hatte, spann ich gedanklich die eine oder andere Szene weiter, mit mir selbst in der Hauptrolle. Die Vorstellung, einem Mann zu gehören, der mit mir anstellen kann, was er will, machte mich irgendwie total heiß. Und schließlich stöberte ich dann im Internet ein wenig herum und stellte fest, dass es da wirklich viele Leute zu geben scheint, die auch so fühlen wie ich und das sogar in die Tat umsetzen. Ich schaute mir auch viele Bilder an und las Geschichten.“ Sie lachte kurz auf. „Ich glaube, ich habe mich noch nie so oft selbst befriedigt, wie in dieser Zeit. Tja, und irgendwann traute ich mich auch in einen Chat. Dort habe ich mich aber meist sehr zurück gehalten und nicht viel von mir erzählt. Bis ich dich dort traf.“ Sie schaute Andreas wieder kurz an. „Ach ja, als mir klar wurde, welche versteckte Seite da noch in mir wohnt, habe ich versucht, das meinem Mann beizubringen. Aber leider hat er mich gar nicht verstanden. Er konnte nicht begreifen, was ich da von ihm wollte. Und nun sehne ich mich jedes Mal, wenn wir miteinander schlafen, danach, dass wir es wenigstens etwas heftiger treiben – wie man so schön sagt. Aber da kommt nichts. Bei uns gibt es immer nur Kuschelsex. Das ist sehr frustrierend. Ich bin da momentan sehr verzweifelt, weil ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll.“ Ihre Stimme begann ein wenig zu zittern und man merkte, dass sie mit den Tränen kämpfte. „Ich liebe ihn doch so sehr, aber er versteht mich in dieser Hinsicht so wenig. Normalerweise können wir über alles reden, aber dieses Thema wird nun tot geschwiegen.“
Sie konnte nicht weiter sprechen und versuchte, sich ein wenig zu sammeln. Andreas legte etwas zögerlich eine Hand auf ihren Arm um sie etwas zu trösten. Eine Weile lang schwiegen sie beide, bis er die Stille durchbrach.
„In gewisser Weise ähneln sich unsere Geschichten. Nur dass ich schon sehr lange Fantasien in diese Richtung habe. Allerdings versuchte ich immer, sie zu unterdrücken, da ich mich für pervers, beinahe krank hielt. Wie kann man schon zugeben, dass man gerne mal eine Frau unterwerfen würde und schlimmer noch, sie leiden lassen will? Aber auch mir hat da das Internet geholfen. Es ist schon beruhigend zu wissen, dass man da nicht alleine dasteht, nicht wahr?“
Stefanie nickte und entspannte sich langsam wieder.
„Aber es meiner Frau sagen? Sie steht mit beiden Beinen im Leben. Man könnte sie beinahe als Emanze bezeichnen. Sie wirkt auf mich so gar nicht devot. Manchmal haben wir zwar recht leidenschaftlichen Sex – aber sie schlagen? Oder sie vor mir kniend? Ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Sie schimpft auf jeden Machomann und hat mich dazu gebracht, dass ich viel im Haushalt helfe und alle möglichen Dinge mache, an die mein Vater nie im Traum gedacht hätte. Aber ihr fremd gehen – das könnte ich nie, das widerspricht einfach meiner Vorstellung einer Ehe.“
„Oh ja, das kann ich gut verstehen. Auch wenn ich oft den Eindruck habe, dass dies vor allem Frauen so sehen. Es ehrt dich, dass du es so siehst. Aber glaubst du, dass man seinem Partner zuliebe ein Leben darauf verzichten kann?“
„Ich weiß es nicht.“ antwortete er ehrlich. „Ich hatte mal ein interessantes Gespräch im Chat mit einer anderen Sub. Sie meinte, es ginge ihrer Meinung nach nur, wenn man es noch nie real erlebt hat und es einfach als Fantasie betrachtet.“
„Na, da habe ich ja nochmals Glück gehabt.“ meinte sie sarkastisch. „Aber es tut gut, einmal mit einem richtigen Menschen darüber reden zu können.“
Eine Weile unterhielten sie sich noch über die anderen Leute, die sie im Chat kennen gelernt hatten. Schließlich mussten sie beide wieder aufbrechen.
„Wollen wir das nochmals wiederholen?“ fragte Andreas zum Abschied.
„Ich weiß es nicht, ich muss das nun erst einmal verdauen. Aber wir sehen uns im Chat.“
„Gut, aber es freut mich wirklich, dass wir uns nun auch Angesicht zu Angesicht kennen.“
Schließlich gingen sie wieder beide ihrer Wege.
Wie sich in den nächsten Tagen zeigte, hatte Stefanie zunehmend Probleme, in den Chat zu kommen. Da sie es nur immer heimlich tun konnte, waren die gemeinsamen Zeiten mit Andreas sehr selten geworden. Das Treffen hatte sie auch ziemlich aufgewühlt. Entsetzt stellte sie fest, dass sich Andreas in ihre Fantasien geschlichen hatte. Sie schob es darauf, dass er nun einmal der einzige dominante Mann war, den sie real kannte. Andreas gegenüber sagte sie aber lieber nichts davon. Als er sie einige Wochen später fragte, ob sie sich wieder treffen könnten, sagte sie zögerlich zu und hoffte, da keinen Fehler zu machen. Sie hatte ein unglaublich schlechtes Gewissen ihrem Mann gegenüber. Doch das Thema war so präsent in ihrer Gedankenwelt, dass sie glaubte zu platzen, wenn sie sich nicht wieder Andreas mitteilen konnte. Sie verabredeten sich wieder auf der selben Parkbank unter der Birke. An einem sonnigen Frühlingstag eilte sie daher durch den Park. Diesmal war sie wie üblich zu spät dran und Andreas wartete bereits.
„Entschuldige bitte die Verspätung!“ keuchte sie ihm atemlos entgegen.
Er nahm sie erstmal in die Arme. Von der Steifheit beim ersten Treffen war nicht mehr viel zu spüren.
„Das macht doch nichts. Ich freue mich, dass wir uns wieder treffen konnten.“
„Ja, gut dass wir beide Jobs haben, wo wir uns auch unter der Woche mal ein paar Stunden stehlen können.“
Er lachte. „Das wäre beinahe perfekt für ein kleines Techtelmechtel, stimmt’s?“
Stefanie schoss das Blut in den Kopf.
Er lachte weiter. „Keine Angst, ich bleibe weiter ganz brav.“
Stefanie erzählte lieber nicht, dass sie zwischenzeitlich ganz unbrave Gedanken gehabt hatte.
Sie setzten sich. Die Birke zeigte mittlerweile ein zartes Frühlingsgrün und um sie herum blühten Unmengen von Narzissen.
„Wirklich richtig schön hier.“ sagte Andreas. Er schien heute glänzender Laune zu sein. „Darf ich dir einmal eine meiner Fantasien erzählen?“
Etwas überrumpelt brachte sie ein gequetschtes „Ja“ hervor. Es war weiterhin ungewohnt für sie, so offen über dieses Thema zu sprechen. Aber immerhin musste sie ja nur zuhören.
„Schon lange habe ich ein gewisses Bild in meinem Kopf. Sehr oft stelle ich mir vor, wie eine Frau vor mir kniet. Ihre Arme sind dabei gefesselt und über ihrem Kopf an einem Seil festgebunden. Ich stelle mir dann vor, wie ich alles, was ich möchte, mit ihr anstellen kann.
© Devana Remold