Endlich Feierabend. Mir macht es nichts aus, lange zu arbeiten, ich arbeite gerne nachts. Nur den Weg nach Hause würde ich mir gerne ersparen. Aber das bringt Schichtdienst nun mal mit sich. Ein Auto kann ich mir nicht leisten, also muss ich wie immer alleine durch das nächtliche Industriegebiet zur U-Bahn gehen. Andererseits mag ich es aber auch, durch die nächtlichen Straßen zu gehen. Ich war eben schon immer ein Geschöpf der Nacht.
So gehe ich auch diesmal durch die leeren, aber immerhin hell beleuchteten Straßen. Nur selten begegnen mir um diese Zeit noch Menschen. Aber als ich um eine Ecke biege, sehe ich in einiger Entfernung zwei Personen auf mich zukommen. Wie immer durchfährt mich erst einmal ein gewisser Schock. Fest nehme ich das Tränengas in meiner Tasche in die Hand. Der zweite Blick ist schon beruhigender. Offensichtlich ist es ein Paar. Beide sind dunkel gekleidet. Er trägt einen langen, schwarzen Ledermantel. Auch sie ist in ein Lederkleid gehüllt. Aber irgend etwas stört mich noch an der Erscheinung. Sie hält den Kopf leicht gesenkt und stöckelt irgendwie unbeholfen neben ihm her. Plötzlich wird es mir klar: Sie trägt eine Augenmaske und kann nichts sehen! Deshalb der unbeholfene Gang. Und da ist noch was: Von ihrem Hals hängt eine Leine, an der sie von ihm geführt wird.
Vor meinem inneren Auge überschlagen sich die Bilder. Dieser Anblick trifft mein Innerstes an einem ganz geheimen Ort. Einem Ort, der von dieser Welt, die ich nun ausschnittsweise vor mir sehe, fasziniert ist. Einem Ort, der sich insgeheim nach dieser Welt sehnt. An diesem Ort sind meine geheimsten Wünsche, Phantasien und Sehnsüchte abgespeichert. Aber meist verschließe ich diesen Ort, will ihn selbst nicht wahr haben, weiß nicht damit umzugehen. Und doch sauge ich insgeheim jedes Fitzelchen Information auf. Das Fernsehen bietet meist nicht viel und wenn, dann sehr oberflächlich oder niveaulos. Ausgerechnet auf Arte konnte ich den einzigen niveauvollen Film zu diesem Thema sehen. Ein japanischer Film, der mich seit dem immer wieder beschäftigt. Dort konnte ich zum ersten Mal tiefer in dieses Spiel aus Macht und Unterwerfung einblicken. Ein paar Romane, die sich ansatzweise mit diesem Thema beschäftigten, habe ich auch gefunden. Insgeheim weiß ich, dass ich mich nach Hingabe und Unterwerfung sehne. Aber bisher waren meine Sehnsüchte unerfüllt geblieben. Wohl ein Grund, warum meine bisherigen Beziehungen immer relativ unerfüllt geblieben waren und nicht allzu lange andauerten. Noch nie habe ich den Mut gefunden, über meine Gefühle mit jemandem zu sprechen. Nur in meiner Phantasie lebt diese Welt, von der ich aber noch kaum etwas weiß.
Und nun komme ich plötzlich mit dieser Welt, die mich schon längst in ihrem Bann gezogen hat, in Berührung. Direkt auf mich zu kommen zwei Menschen, die anscheinend meine Träume tatsächlich ausleben! Ich gerate in leichte Panik. Was soll ich nun tun? Am liebsten würde ich umkehren oder die Straßenseite wechseln. Andererseits hängen meine Blicke an den beiden. Mit Schrecken nehme ich wahr, dass auch ich entdeckt wurde. Er fixiert mich mit einem Blick, der bis auf den Boden meiner Seele durchzudringen scheint. Noch nie habe ich so etwas erlebt. Ein heftiger Schauer durchfährt meinen ganzen Körper. Jetzt traue ich mich erst recht nicht mehr, Reißaus zu nehmen. Statt dessen senke ich den Blick und gehe zögerlich weiter. Ich spüre seinen Blick immer noch auf mir. Am liebsten würde ich mich in Luft auflösen! Wir kommen uns immer näher. Ich wage es nicht, meinen Blick anzuheben. Ich will nur noch einfach an den beiden vorbeigehen dürfen. Jetzt kann ich deutlich ihre Schritte hören. In mir tobt ein Sturm. Jetzt sind wir fast auf einer Höhe. Ich zittere am ganzen Körper und frage mich mit einem Mal, warum eigentlich. Ich kann es mir nicht erklären und gebe mich dann einfach diesem Gefühl hin. Dann ist es soweit, uns trennen nur noch wenige Schritte. Plötzlich ein halblautes, aber doch sehr bestimmtes “Stopp!”. Unwillkürlich bleibe ich stehen, obwohl ich gar nicht weiß, ob dieser Befehl überhaupt mir galt. Noch immer wage ich es nicht, den Blick zu heben. Mein Herz rast bis zum Hals. Auch die beiden bleiben stehen. Es vergehen ein paar Sekunden mit erdrückendem Schweigen. Dann eine Regung von ihm. Er kommt auf mich zu. Ich bin nun vollends in Panik, weiß nicht, was ich machen soll und bleibe deshalb einfach stehen, den Blick weiterhin nach unten. Dann seine Hand an meinem Kinn. Ich zucke zusammen. Langsam hebt er mein Kinn hoch, zwingt mich, ihn anzusehen.
Ich blicke in dunkle Augen, die mich warmherzig ansehen.
“Wen haben wir denn da?” sagt er mit einer tiefen, angenehmen Stimme. Damit habe ich jetzt wirklich nicht gerechnet! Ich verliere mich in diesen Augen und kann mit einem Mal meine Tränen nicht zurückhalten. Ohne meinen Einfluss kullern dicke Tränen über meine Wangen. “Aber wer wird denn hier…?” kommt wieder diese wahnsinnige Stimme. Mehr höre ich nicht, da ich hemmungslos zu weinen beginne. Ehe ich mich versehe, werde ich von diesem völlig fremden Mann in die Arme genommen und weine mich an seiner Schulter aus. Zärtlich streicht er mir über meinen Kopf und Rücken. Nach einer Weile wird mir diese surreale Situation bewusst. Drei Menschen auf der nächtlichen Straße. Eine davon abseits stehend, mit verbundenen Augen und einem Halsband samt Leine an. Ein weinendes etwas – ich – in dem Armen eines mir völlig unbekannten Mannes. Meine Tränen versiegen. Verlegen spähe ich nach der anderen Frau. Sie sieht ja nichts, was mag sie wohl denken? Ich kann ihren Gesichtsausdruck nicht recht deuten.
Wieder seine Hand an meinem Kinn. “Geht es wieder?”
Ich bin immer noch nicht fähig zu sprechen, nicke nur kurz mit dem Kopf.
“Na, in diesem Zustand können wir dich wohl kaum hier alleine lassen. Wo wolltest du denn gerade hin?”
Nach einigen Schluckversuchen bekomme ich gerade noch ein gequetschtes “Zur U-Bahn” hinaus.
“Na sieh mal einer an, du kannst ja sogar sprechen. Was mache ich denn jetzt mit dir, sollen wir dich nach Hause bringen?”
Wieder ganz widersprüchliche Gefühle in mir. Ich kann mich doch nicht von einem fremden Mann – auch wenn er in weiblicher Begleitung war – einfach nach Hause bringen lassen. ‘Steige nie zu einem fremden Mann ins Auto!’ schießt mir die Warnung meiner Mutter aus Kindertagen in den Kopf. Und doch bin ich auch dankbar für das Angebot. Bei dem Gedanken, jetzt einfach in die U-Bahn zu steigen, kommt mir das kalte Grausen. Viel eher sehne ich mich nach einem beschützenden Auto. Nicht nur nach dem Auto, sondern auch nach diesem Mann, in dessen Armen ich mir so unheimlich wohl und behütet vorgekommen war und der gleichzeitig eine enorme Autorität ausstrahlt.
Er muss meinen inneren Kampf spüren. “Du brauchst keine Angst zu haben, dir wird schon nichts geschehen. Möchtest du bei dir zu Hause jemanden anrufen?”
Ich bin dankbar, dass er mein Dilemma erkennt. Aber wen soll ich denn anrufen, da ist doch niemand, der auf mich wartet! Ich schüttle also den Kopf.
“Hast du einen Anrufbeantworter?”
“Ja, wieso?”
Er kramt in seiner Tasche, holt seinen Geldbeutel heraus und entnimmt diesem seinen Personalausweis. “Hier hast du meine Daten. Sprich sie dir auf deinen Anrufbeantworter. Hast du ein Handy?” Ich wühle in meiner Tasche und ziehe mein Handy raus. Ich wähle meine eigene Nummer und lese alle Daten des Ausweises vor. Dabei erfahre ich auch seinen Namen. Henry. Ein außergewöhnlicher Name für einen Deutschen, aber er passt zu ihm.
“Kommst du jetzt mit uns?”
Jetzt habe ich seine Daten. Wenn ich nun auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde, wäre seine Identität bekannt. Das gibt mir irgendwie Sicherheit. Alleine die Tatsache, dass er mir mit diesem Schritt aus meinem Dilemma helfen will, lässt mich Vertrauen fassen. Ich beende also meinen innerlichen Kampf und nicke.
“Gut, warte einen Moment.” Er wendet sich zum ersten Mal wieder der anderen Frau zu und zieht sie an ihrer Leine ein Stück beiseite. Er flüstert ihr etwas zu. Sie nickt nur hin und wieder oder schüttelt den Kopf. Dann kommen beide wieder zu mir. “Na komm, und keine Angst!”
Ich folge den beiden mit kleinem Abstand. In nicht allzu weiter Entfernung bleiben sie an einem Auto stehen. Er lässt sie hinten einsteigen und öffnet mir die Beifahrertür.
Ich nehme Platz.
Er setzt sich hinters Steuer. “Wo wohnst du?”
Ich nenne meine Adresse. Er nickt und fährt los. Schweigend fahren wir. Ich blicke starr gerade aus. Langsam versuche ich, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Was war da gerade mit mir geschehen? Wie konnte ich mich so gehen lassen? Warum bin ich nicht einfach weiter gegangen, als der Stopp-Befehl kam? Statt eines klaren Kopfes nimmt meine Verwirrung über mich selbst eher zu. Zu meinem Erstaunen nehme ich auch noch wahr, dass mich die Geschehnisse auch noch unheimlich anregen. Völlig verwirrt bleibe ich regungslos sitzen, den Blick auf die Straße gerichtet, ohne wahrzunehmen, wohin es eigentlich geht. Der Wagen hält an.
Zum ersten Mal nehme ich richtig die Umgebung wahr. Leichte Panik, das ist nicht meine Adresse!
Dann eine beruhigende Hand auf meinem Schenkel. “Keine Panik!” Woher weiß er das? “Ich muss noch unsere Begleitung abliefern. Danach fahre ich dich dann nach Hause. Ist das okay für dich?”
Ich bin meines inneren Kampfes leid und nicke nur noch ergeben. Aufmunternd wird daraufhin meine Hand gedrückt. Er verlässt den Wagen und holt unsere “Begleitung” von hinten. An der Leine führt er sie zu einem Einfamilienhaus und klingelt. Nach einer Weile öffnet sich die Türe und die Frau verschwindet darin. ‘Abliefern’ hatte er gesagt. So spricht man von einer Ware. Was dies wohl bedeuten mochte? Aber ich habe jetzt keine Lust, weiter darüber nachzudenken, ich bin mit meinen eigenen Gefühlen mehr als beschäftigt.
Er kommt wieder zum Wagen zurück, setzt sich hinein und fährt weiter. Das Schweigen bedrückt mich zunehmend. Endlich kommen wir an meiner Haustüre an. Er parkt den Wagen, steigt aus und öffnet mir meine Tür. Ich steige aus. Was jetzt? Jetzt wäre wohl ein Dankeschön und eine Verabschiedung von mir angebracht. Aber ich bringe kein Wort heraus. Wieder einmal betrachte ich eingehend den unter mir liegenden Fußweg. Und wieder hebt er mein Kinn mit der Hand an. Ah, diese Augen! Ich könnte darin versinken! Und dann kommt dieser Satz aus meinem Mund. Einen Satz der sich aus meinen verwirrten Gefühlen nach oben kämpfte, der alles in meinem Leben verändern sollte. “Bringen Sie mich bitte noch in meine Wohnung? Ich kann jetzt nicht alleine da hin.”
Sehe ich ein kurzes Aufflackern in diesen wunderbaren Augen? Er schiebt mich in Richtung Eingangstüre. Ich sperre auf und gehe hinein. Wird er mir folgen? Mir wird fast schwindelig. Doch, er kommt hinter mir her. Ich gehe ins erste Stockwerk und zu meiner Wohnungstüre und sperre auch diese auf. Als wir beide in meine Wohnung getreten waren, schließe ich die Türe. Mein Herz klopft erneut bis zum Hals. Mir ist noch immer schwindelig. Was tue ich da? Es war doch sonst nicht meine Art, mir wildfremde Männer mit nach Hause zu nehmen. Ich schwanke leicht. Da werde ich auf einmal auf seine Arme genommen. Mit ein paar schnellen Blicken orientiert er sich in meiner Wohnung und trägt mich in mein Bett. Dort legt er mich sanft ab und setzt sich neben mich, wie man dies bei einem kranken Kind tut.
Was hat er nun mit mir vor? Ich weiß nicht, ob ich mich ängstlich, geborgen oder erregt fühlen soll. Wahrscheinlich von allem ein wenig.
Meine Gedanken werden jäh unterbrochen: “Also was ist mit dir los?” Die Stimme klingt gar nicht mehr so sanft, auch seine Augen haben einen ganz anderen Ausdruck.
Erschreckt kann ich keinen klaren Gedanken fassen. “Ich… ich …..” bringe ich nur heraus. Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll. Plötzlich ist mir die ganze Situation unendlich peinlich. Warum habe ich ihn nur hier hoch gebeten?
“Was hast du dir gedacht, als du uns beide da auf der Straße gesehen hast?”
Ich bleibe stumm, versuche mir eine Antwort zurecht zu legen.
“Antworte!” – “Ich, ich sah Euch beide dort und stellte plötzlich fest, was los war und dann… dann…” – “Weiter!” – “dann sah ich plötzlich meine geheimsten Phantasien vor mir.” Jetzt ist es raus. Ich schließe meine Augen und lehne mich in die Kissen zurück. Was denkt er jetzt von mir? Ich traue mich nicht, die Augen wieder zu öffnen.
Dann seine Hand, die mir sanft über den Kopf streichelt. “Und das hat dir einen ganz schönen Schock versetzt, oder?” Seine Stimme ist wieder ganz sanft. Unglaublich, wie diese Stimme von so hart zu so sanft wechseln konnte.
Ich öffne meine Augen, blicke in die seinen. Zum ersten Mal kann ich diesen Blick ertragen. “Ja” sage ich diesmal ganz bestimmt, “das hat mich ziemlich schockiert.”
“Versuche jetzt, zu schlafen, ich muss weiter.” Sagt er, gibt mir einen Kuss auf die Stirn und verlässt, ohne sich noch einmal umzudrehen, meine Wohnung.
Völlig verdattert bleibe ich erst einmal liegen, rappele mich dann hoch und mache mich fürs Bett fertig. Anschließend falle ich in einen tiefen traumlosen Schlaf.
Nächster Morgen. Ich wache auf, bin noch nicht ganz wach. Plötzlich die Erinnerung an gestern. Schlagartig bin ich wirklich wach. Die Ereignisse laufen nochmals vor mir ab. Noch immer kann ich nicht ganz nachvollziehen, was da eigentlich alles passiert ist. Aber er ist weg. Einfach gegangen. Was hatte ich mir erwartet?
Ich gehe unter die Dusche. Meine Handgriffe sind die eines Roboters, denn gedanklich bin ich ganz woanders – gedanklich bin ich bei IHM! Mich lässt das Erlebnis nicht mehr los. Immer klarer wird mir, dass ich gestern in eine Welt hinein geschnuppert habe, die die Antwort auf mein bisher unerfülltes Sexualleben sein könnte. Aber nicht nur auf dieses. Wie sehr sehnte ich mich danach, mich starken Händen anzuvertrauen, mich ihnen auszuliefern, mich ihnen als Spielzeug zur Verfügung zu stellen, mich ganz einem anderem Willen unterzuordnen. Das wird mir mit einem Mal bewusst. Dies habe ich viele Jahre ganz tief in mir verschlossen. Aber ich werde mir auch des Risikos bewusst. Ein enormes Vertrauen ist wohl nötig, um sich derartig einem Menschen hingeben zu können. Lange lasse ich das heiße Wasser auf mich herab regnen. Soll ich es wagen, einen Schritt in diese Richtung zu gehen? Aber wie? Würde ich dazu den Mut aufbringen? Andererseits wird mir aber klar, dass ich in einer “normalen” Beziehung nie richtige Erfüllung finden könnte. Warum habe ich IHN gestern einfach gehen lassen? Ihm könnte ich dieses Vertrauen entgegenbringen. Ich war immer Stolz auf meine Menschenkenntnis gewesen und bei ihm hatte ich einfach ein gutes Gefühl. Aber er ist weg.
Ich steige aus der Dusche. Erstmal muss ich meine Gedanken verarbeiten, bevor ich überlegen kann, was ich machen soll. Ich ziehe mich an. Es ist Samstag, das Wochenende liegt vor mir. Ich habe nichts Großartiges vor. Erstmal muss ich aber zum Einkaufen gehen, wenn ich nicht die nächsten zwei Tage hungrig verbringen möchte. Ich gehe also zum nächsten Supermarkt und decke mich ein.
Wieder zu Hause angekommen leere ich den Briefkasten aus. Wie immer sehe ich gleich am Briefkasten die Post durch. Ein verschlossener weißer Umschlag ohne Anschrift und Absender fällt mir sofort auf. Ein Schauer breitet sich von meiner Magengegend über meinen ganzen Körper aus. Voller Vorahnungen packe ich meine Einkäufe und stürme in meine Wohnung. Dort setze ich mich auf die Couch und halte den Umschlag in den Händen. Ich atme tief und laut durch und beginne mit zittrigen Bewegungen, den Umschlag aufzureißen. Ich weiß nicht, was mir lieber ist: Eine clever verpackte Werbung oder eine Nachricht von IHM! Aber nach Werbung sieht es nicht aus. Im Umschlag steckt ein einfacher weißer Bogen, in der Mitte einmal geknickt. Ich öffne das Papier und lese:
Wenn du deine Träume wahr werden lassen möchtest, wenn du in die Welt von Dominanz und Unterwerfung eintauchen möchtest, dann komme heute abend um 20 Uhr zu mir. Ich erwarte dich!
Henry
Mehr steht da nicht, außer nochmals seine Adresse, die ich schon von seinem Personalausweis kenne.
Ich schließe meine Augen. Ich brauche nicht lange nachzudenken. Die Antwort, ob ich gehen würde, hatte ich mir schon unter der Dusche gegeben.
Den Tag verbringe ich mehr in Trance als bewusst. Als es langsam Abend wird, steigert sich meine Nervosität immer mehr. Verzweifelt stehe ich vor meinem Kleiderschrank. Was soll ich nur anziehen? Ich wähle schließlich schwarze Unterwäsche aus Spitze. Dazu einen Strapsgürtel und schwarze Strümpfe. Darüber ziehe ich ein langes, schwarzes Kleid, dass meine weiblichen Kurven umschmeichelt. Schwarze, mittelhohe Pumps vervollständigen mein Outfit. So ganz wohl fühle ich mich nicht. In letzter Zeit habe ich meist Hosen getragen. Zwar mag ich Kleider gerne, aber im Berufsleben werden diese immer seltener. Und die Figur für knappe Miniröcke habe ich auch nicht.
Jetzt bin ich ausgehbereit. Allerdings ist es noch viel zu früh! Also wandere ich wie ein eingesperrtes Raubtier in meiner Wohnung umher. Was würde mich erwarten? Ich habe keine Ahnung. Was, wenn mein erster Eindruck doch falsch gewesen ist? Wenn ich an einen Perversen geraten bin? Ich kenne ihn doch eigentlich gar nicht. Wie so oft, schaltet sich nun auch mein Kopf ein und trägt einen Kampf mit meinem Bauch aus. Schließlich ringe ich mich zu einem Minimum an Sicherheit durch. Ich rufe meine Freundin Martina an.
“Du, ich habe heute quasi so eine Art Blind-Date und da man ja heutzutage nicht weiß, an wen man so alles gerät, würde ich dir gerne Bescheid geben, damit es jemand weiß.”
“Du? Ein Blind-Date? Hätte ich dir überhaupt nicht zugetraut! Und du weißt gar nichts über ihn?”
“Doch, wir haben uns schon kurz gesehen, hatten aber nicht viel Zeit, also haben wir uns für heute nochmals verabredet.”
“So, so.”
“Kann ich dir seine Daten geben? Ich melde mich dann morgen bei dir, ob alles glatt gegangen ist.”
“Na, das will ich aber auch hoffen! Also rück sie raus, ich schreibe sie mir auf.”
Es fällt mir gar nicht leicht, so ungezwungen mit Martina zu sprechen. Aber die ganze Wahrheit kann ich ihr auch nicht anvertrauen. Ich gebe ihr Henrys Adresse. “Alles klar, dann viel Spaß mit Deinem Henry!”
Jetzt fühle ich mich ein wenig erleichtert. Meine Anspannung ist aber trotzdem noch groß genug. Mittlerweile ist es Zeit, aufzubrechen. Zur Feier des Tages gönne ich mir ein Taxi. Ich lasse mich in die Rücksitze fallen und nenne dem Fahrer die Adresse. Von der Fahrt bekomme ich nicht viel mit. Nach viel zu kurzer Zeit sind wir schon da. Ich bezahle.
“Ein Date?” meint der Fahrer grinsend.
Mit einem gepresstem Lächeln bekomme ich ein “Ja” raus.
Jetzt stehe ich also vor seinem Haus. Ein kleines Einfamilienhaus in einer netten Wohngegend. Das Haus wirkt in dem halb verwilderten Garten irgendwie gemütlich. Warm scheint aus einem der Fenster auf der Seite das Licht ins Dunkel. Jetzt oder nie. Wenn ich jetzt die Klingel drücke, kann ich nicht mehr zurück. Ich packe all meinen Mut zusammen und klingle. Dann der Summer, die Gartentür öffnet sich.
Ich gehe zur Haustür. Sie steht offen. Der Hausflur liegt dunkel vor mir. Nur aus einer Tür kommt ein Lichtschein. Wohl das gleiche Zimmer, das auch schon von außen als erleuchtet zu erkennen gewesen war.
“Schließe die Tür!” kommt der Befehl aus diesem Zimmer.
‘Von innen oder lieber von außen?’ schießt es mir durch den Kopf. Aber jetzt bin ich schon hier. Jetzt will ich auch nicht mehr zurück. Ich gehorche.
“Jetzt komm zu mir!”
Ich lege meine Tasche auf eine Kommode im Flur und gehe zögerlich auf das Zimmer zu. Ich trete ein. Jetzt merke ich, dass hier auch nur ein Licht brennt und dies ist genau auf die Türe gerichtet. Somit liegt der Rest des Raumes im Dunklen.
“Komm noch ein paar Schritte näher!” erklingt seine Stimme von irgendwo hinter dem Licht. Ich bewege mich in das Zentrum des Lichtkegels. Dort angekommen kommt wieder dieses halblaute “Stopp!”. Das war das erste Wort gewesen, was ich von ihm gehört hatte, und wie beim ersten Mal bleibe ich fast automatisch stehen.
“Bleib da stehen, wo du bist!”
Ich versuche, hinter das Licht zu blicken, kann aber außer ein paar unscharfen Konturen nichts erkennen. Es folgt eine unbehagliche Stille. Ich fühle mich von unten bis oben gemustert. Gefalle ich ihm? Da ich nicht weiß, wo ich sonst hinblicken soll, starre ich auf meine Füße. Nach einer mir als halbe Ewigkeit vorkommenden Zeit höre ich endlich wieder seine Stimme. Erst jetzt wird mir klar, dass ich auch ganz automatisch nicht selbst das Wort ergriffen habe. Das wäre mir irgendwie unpassend erschienen.
“Du hast dich also hier her getraut?”
Erwartet er eine Antwort? Ich schweige und nicke nur leicht mit dem Kopf.
“Wie geht es dir jetzt?”
“Ich bin aufgeregt und….”
“Und was?”
“….und neugierig.”
“Du weißt, welche Konsequenzen deine Entscheidung, hierher zu kommen, haben könnte?”
“Nicht ganz genau…”
“Willst du dich in meine Hände begeben, dich meinen Wünschen unterordnen? Willst du dieses Wagnis eingehen? Erstmal nur für heute, später werde ich dich vielleicht nochmals fragen.”
Ich überlege kurz. Diesmal lasse ich meinen Bauch antworten “Ja, das will ich!”
Diese Geschichte wird in der Geschichte Fieber fortgesetzt.
© Devana Remold