Lehrstunde

Ein schöner Tag. Es könnte wohl kaum einen schöneren geben, dachte er bei sich. Frühling lag in der Luft. Aufbruchstimmung. Wenn nicht heute, dann wohl nie. In sich horchend musste er sich eingestehen, nervös zu sein. Ein wenig. Nicht zu viel. Aufgeregt. Ja, das ohne Zweifel.

Lächerlich? Nein, das ganz bestimmt nicht. Er hatte ein Recht auf beide Gefühle. Er stand vor ihrem Haus. Ihr Name, ihre Klingel. Sie würde ihn erwarten. War sie ebenso aufgeregt? Es war nicht ihr erstes Treffen. Nein, das vierte, wie er kurz überschlug. Ihre Augen, ihr Lachen hatten ihn von Anfang an gefangen genommen. Das stimmte nicht ganz. Ihre virtuelle Existenz hatte das bereits schon lange vorher getan. Sie hatte sich seiner angenommen. In langen Gesprächen hatte sie ihm ihre Welt erklärt, ihn zu sich gelockt. Er fühlte sich sicher bei ihr, konnte sich ihr öffnen.

Das erste Treffen hatte er hinausgezögert. Die Befürchtung, den virtuellen Zauber zu zerstören, war einfach zu groß gewesen. Sie hatte ihn gedrängt, bis er nachgegeben hatte. Er hatte es nicht bereut. Er war in ihren Augen versunken und hatte sie genauso sicher gefühlt, wie bei ihrem virtuellen Austausch.

Drei Treffen waren schon vorangegangen. Im Café, im Park, in seiner Küche. Dabei hatte es nur Umarmungen gegeben. Zur Begrüßung und zum Abschied. Die letzte war innig gewesen. „Jetzt bist du soweit“, hatte sie ihm am Tag darauf in einer Mail mitgeteilt.

Jetzt war er also wohl so weit. Er klingelte.

Sie erwartete ihn in der offenen Tür. Ein Lächeln auf ihren Lippen, ein Blitzen in ihren Augen. Was tat sie da nur mit ihm? War das erlaubt? Sollte er schon jetzt das vereinbarte Safeword sagen? Nein, auf in den Kampf. Sie machte ihn wahnsinnig. Er war noch nie ein Kind von Traurigkeit gewesen. Warum also heute damit anfangen?

Der Anblick ihres Sofatisches haute ihn dann aber doch um. Fein säuberlich aufgereiht das Arsenal ihrer Spielzeugkiste.

„Bist du bereit?“

Lag da etwa Spott in ihrer Stimme?

„Na dann los.“ Nur keine Schwäche zeigen.

„Womit sollen wir anfangen?“

„Ganz wie es der Herrin beliebt.“ Spott konnte er auch.

Aufblitzende Augen. Ihr Griff zur Gerte.

„Na dann. Hose runter.“

Miststück.

„Zeig mir auch noch den Stock.“

„Sicher? Der ist heftiger.“

„Komm, lass es uns hinter uns bringen.“

„Wachs ist ja harmlos.“

„Ja, ich habe noch nie etwas anderes behauptet. Aber dennoch nett.“

„Und dann führst du das Seil noch hier herum und siehst du, jetzt kommst du da mit den Händen nicht mehr raus.“ Nein, kam er wirklich nicht.

„Woher weißt du das alles?“

„Internet“, antwortete sie lapidar. „Aber ich bin keine Bondagekünstlerin. Ich habe mir nur das Nötigste rausgesucht. Wie ich dich hier festbinden kann, zum Beispiel.“

Blitzende Augen. Dieses Mal die seinen.

„Knie dich jetzt hin“, flüsterte sie ihm ins Ohr.

Sollte er wirklich? Er tat es. Man musste alles einmal ausprobieren. Er wusste, was ihr das bedeutete. Er hob den Blick zu ihr, sie lächelte, ging ebenfalls auf die Knie, löste den Knoten seiner gebundenen Hände.

„Ich denke, nun bist du soweit. Die Lehrstunde ist beendet. Traust du dich nun an mich ran?“

„Mich rantrauen? Ich kämpfe, seit dem ich hier bin, nicht über dich herzufallen“, knurrte er.

Glockenhelles Lachen, das abrupt endete. Sie hatte sich klein gemacht. Kleiner als er. Ihr Blick ging nach oben. Traf ihn ins Mark, machte ihn rasend.

„Dann weißt du ja jetzt, wie das über mich herfallen geht.“

Oh ja, das wusste er jetzt. Und das würde er tun. Sofort.

© Devana Remold